Sofia Goggia feiert in Kanada den totalen Triumph. Nach den beiden Abfahrten gewinnt sie in Lake Louise auch den Super-G vom Sonntag. Die Tessinerin Lara Gut-Behrami meldet sich wieder erstarkt als Zweite an der Spitze zurück.
Man kennt Sofia Goggia als wilde Flatterfrau, die mit ausgebreiteten Armen oft Harakiri-Linien wählt – das blosse Zuschauen macht schon Angst. Die Italienerin hat dem selbst einen Namen gegeben, Goggia-Style. Und noch drei Tage vor dem Saisonstart hatte sie gesagt, so sei sie eben: kompromisslos, selbstbewusst, risikobereit. Doch dann fuhr sie in den Rennen völlig verwandelt. Wie auf Schienen raste sie die Piste runter, sie zögerte nie, übertrieb aber auch nie. Und sie siegte, siegte und siegte.
Lake Louise ist ein Ort, an dem es vor allem bei den Frauen schon oft vorkam, dass die Siegerin des einen Tages auch am nächsten zuoberst auf dem Podest stand. Doch das Triple mit drei Erfolgen in drei Tagen gelang zuvor nur Katja Seizinger und Lindsey Vonn, Letzterer sogar dreimal.
Beide waren zu ihrer Zeit Dominatorinnen ihrer Sportart und gewannen auch den Gesamtweltcup. Von der Gesamtwertung aber will Goggia nichts wissen. Ihr Ziel sei es, in den Speed-Rennen zu dominieren, sagte sie in einem Gespräch in Lake Louise.
Eine Serie wie bei Lindsey Vonn
Dieses Ziel hat sie bereits auf eindrückliche Weise erreicht. Die letzten sechs Abfahrten, zu denen sie gestartet ist, hat sie auch gewonnen. Das ist eine Serie, die zuletzt Vonn im Jahr 2016 gelang. Seit der US-Amerikanerin hat es in den Speed-Disziplinen keine Seriensiegerin mehr gegeben; Goggia ist auf dem besten Weg, die Abfahrt auf längere Sicht zu dominieren. Dass sie schnell ist, weiss man schon lange. Doch wenn sie weiterhin so sicher fährt wie in den kanadischen Rocky Mountains, ist sie nur schwer zu besiegen.
Aber mindestens so wichtig wie das Double in der Abfahrt dürfte der 29-Jährigen der Triumph vom Sonntag im Super-G sein. Allzu oft verpatzte sie nach guten Abfahrten den Einsatz in der technisch anspruchsvolleren Disziplin, in der ihr überhaupt stets die Konstanz fehlte. Grund dafür war oft der Goggia-Style: Die Italienerin fuhr zu direkt; sie versuchte, der Piste mit purem Willen Unmögliches aufzuzwingen, statt mit etwas Köpfchen zu Werk zu gehen.
Die Frau, die diese Balance zwischen Risiko und Rennintelligenz perfekt beherrscht, ist Lara Gut-Behrami. Das bewies sie am Sonntag in Lake Louise, als sie nach einer von einer schweren Erkältung geprägten Woche und zwei enttäuschenden Resultaten in der Abfahrt das Maximum aus dem müden Körper herausholte und den Super-G im 2. Rang beendete. In dieser Disziplin ist sie Weltmeisterin, in dieser Disziplin hat sie schon dreimal die Saisonwertung für sich entschieden. Der Super-G von Lake Louise hat nun gezeigt, dass die gute Form des Saisonstarts von der Krankheit nicht beeinträchtigt wurde.
Sturz auf Touristenpiste
Gut-Behrami war die Frau der zweiten Saisonhälfte im vergangenen Winter, und Goggia musste dem über weite Strecken tatenlos zusehen. Als Goggia am 31. Januar nach einem Trainingstag auf der Touristenpiste zu Tal fuhr, stürzte sie in einem Steilhang und verdrehte sich dabei das rechte Knie. Im Stürzen hörte sie einen Knall und dachte, das Kreuzband sei gerissen. Dass sie sich letztlich nur den Schienbeinkopf gebrochen hatte, war für die Italienerin schon fast eine Erlösung – obwohl sie wegen der Verletzung die Heim-WM in Cortina d’Ampezzo verpasste.
Gut-Behrami wurde dort Weltmeisterin im Super-G, gewann Bronze in der Abfahrt und siegte in den beiden folgenden Abfahrten im Weltcup. Derweil betrieb Goggia zu Hause die Reha als Spitzensport. Schon im Helikopter ins Spital hatte sie ein spezielles Magnetband ums Knie gelegt, das die Heilung beschleunigen sollte. Sie wollte unbedingt am Weltcup-Finale antreten, um die Führung in der Disziplinenwertung zu verteidigen.
Vor dem Rennen in Lenzerheide hatte Goggia 70 Punkte Vorsprung vor der Abfahrtsweltmeisterin Corinne Suter und 97 vor Gut-Behrami. Beide konnten sie also noch überholen. Doch das Wetter war schlecht, das Rennen wurde abgesagt. Und Goggia war da, um die Trophäe in Empfang zu nehmen.
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Remo Geisser, Lake Louise
Benjamin Steffen