Ski Alpin: Sofia Goggia gewinnt in Zauchensee (2024)

Als Sofia Goggia sich für einen Moment davongeschlichen hatte, den Blicken der Kameras und Objekte entschwunden war, brachen alle Dämme. Die Italienerin lag in den Armen eines Betreuers, vergrub ihren Kopf, hob ihn, um sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, vergrub den Kopf wieder. Nach einigen Minuten plumpste Goggia dann wieder auf den Sitz, der für sie im Ziel von Zauchensee reserviert war und der sie als Führende auswies. Sah so eine aus, die gerade eine der schwersten Abfahrten des Jahres gewonnenhatte?

Eifrige Ursachenforschung setzte ein. Hatte eine Servicekraft der 31-Jährigen eine Überdosis des verbotenen Fluorwachses auf die Skier getröpfelt? Hatte ihr Sponsor, ein Brausefabrikant, Goggia dazu verdonnert, sich das Wochenende ausschließlich von seiner gummibärensüßen Brause zu ernähren? War sie schlicht erleichtert nach einem ruppigen Saisonstart? Tatsächlich habe sie keine Tränen der Freude geweint, sagte Goggia später, "sondern weil ich eine emotionale Last zu tragen hatte. Aber jetzt geht es mirbesser."

Mal ein Sturz im Training, mal fehlt die Gnadenlosigkeit: Kira Weidle und die deutschen Abfahrer tun sich in diesem Winter noch schwer - aber die 27-Jährige kennt immerhin den Weg zurück zu alter Stärke.

Die Abfahrt preisen sie bei den Alpinen seit jeher als Königsdisziplin, es geht um Mut und Überwindung. Und die Abfahrt in Zauchensee, auf den hübschen Namen "Kälberlochpiste" getauft, dient in der Hinsicht als probate Fallstudie: Die Athletinnen katapultieren sich vom Startschuss weg von null auf hundert Sachen binnen vier Sekunden, rasseln dann durch eine Achterbahn aus Eis, mit Sprüngen, Kompressionen und Kurven, die die Fahrerinnen in Schräglagen wirft, manchmal auch ins Netz. Aber diese Gefahr reizt nun mal mehr als das Gewöhnliche, auch deshalb schauen jetzt ja wieder alle nach Wengen, Kitzbühel undZauchensee.

Dass die Gefahr dabei immer auch herumspukt in den Köpfen, darüber redeten die Protagonisten früher allerdings nicht so gerne. Wer die eigene Schwäche einräumt, so das Klischee, könnte die anderen ja stärkermachen.

Deshalb war es so interessant - und wertvoll -, was Goggia nun in Zauchenseeerzählte.

Die 31-Jährige aus Bergamo ist schon jetzt eine der erfolgreichsten Schnellfahrerinnen der Geschichte, 2018 gewann sie Olympiagold in der Abfahrt, viermal die Abfahrtswertung im Weltcup, 18 Tagessiege in dieser Disziplin - mehr haben nur Lindsey Vonn (43), Annemarie Moser-Pröll (36) und Renate Götschl (24). Sie ist zugleich eine, die das Klischee der wilden Abfahrerin so sehr lebte wie kaum eine andere: Mal prallte sie auf den Kopf und fuhr weiter, mal verlor sie einen Skistock und gewann trotzdem, oft genug warf es sie schwer ab - vor allem im Januar und Februar, wenn die Höhepunkte anstehen und die Athleten noch näher an die Extremerücken.

Vor drei Jahren brach Goggia in Garmisch-Partenkirchen, auf dem Rückweg ins Hotel, auf einer Touristenpiste der Schienbeinknochen - die WM in Cortina d'Ampezzo war dahin. Ein Jahr später: Sturz in Cortina d'Ampezzo, Goggias Knie bogen sich in unmöglichen Winkeln. Drei Wochen später gewann sie bei den Winterspielen in Peking Silber in der Abfahrt, mit angerissenem Kreuzband und angebrochenemWadenbein.

Es gebe auch traurige Dinge, über die sie nicht sprechen könne, sagt Goggia

Die laufende Saison begann zwar mit einem Sieg im Super-G in St. Moritz, in den Abfahrten überführte sie bis zuletzt aber keinen Sieg in die Bücher. Und als der Januar anbrach, hätten die Gedanken im Kopf noch mal schneller gekreiselt, sagte Goggia nun: "Diese Zeit in der Saison hat es mit mir oft nicht gut gemeint." Als sie am Freitag in den Super-G aufbrach, verspürte sie "vom Start weg das Gefühl, dass ich nicht ich selbst bin auf den Skiern. Und wenn das passiert, tut mir das richtig in der Seele weh." Sie stürzte, malwieder.

Schon vor einem Jahr hatte Goggia dem Wiener Standard erzählt, dass sie das Malheur in Garmisch-Partenkirchen "über meinen Selbstwert nachdenken" ließ. Die wilde Seite in ihr, die unerbittlich den Siegen hinterherhetze, mit dem Temperament eines Vulkans, lasse ihre persönliche, nachdenkliche Seite oft leiden. Goggia hat einmal erzählt, dass sie sich auch für Latein und Literatur interessiere, sie schmückt ihre Beiträge in den sozialen Medien schon mal mit Zitaten von Dichtern wie Giacomo Leopardi und Konstantinos Kavafis. Nur wenn diese literarische Seite der wilden in etwa ebenbürtig sei, könne sie ihre ganze Kraft ins Rennen fließenlassen.

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So erlebte man in Zauchensee eine Goggia, die sich offenkundig selbst suchte: schon noch immer brodelnd, an der Grenze zum Verträglichen wandelnd, aber nicht mehr so häufig darüber hinaus. Christian Höflehner, der Chef ihres Skiausrüsters, erzählte, dass Goggia im vergangenen Sommer und Herbst mehr Einheiten als sonst dem Riesenslalom gewidmet habe, um ihre Kurventechnik "auf saubere Füße zu stellen", was auch ihre Ausfallquote auf der Abfahrt mindernsoll.

Tatsächlich fuhr Goggia zuletzt nicht mehr ganz so wild, im Riesenslalom trug es sie im Weltcup zuletzt sogar wieder in die Nähe der Weltbesten. Aber unter den verschärften Techniklektionen habe das Speed-Training etwas gelitten, sagte Höflehner, da müsse sich alles noch ein wenig einspielen. Im Super-G am Sonntag, den die Schweizerin Lara Gut-Behrami gewann, wurde Goggia Achte, Emma Aicher (39.) und Kira Weidle (40.) als beste Deutsche trieb es sogar noch weiterzurück.

Blieben noch zwei Rätsel: Was Goggia meinte, als sie ihre Tränen auch mit Dingen begründete, über die sie "nicht sprechen" könne. Und ob sie den restlichen Januar tatsächlich ohne Stürze übersteht. Und bald wieder Zeit ist fürFreudentränen.

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