Die Italienerin Sofia Goggia verliert einen Stock, doch das stört sie nicht: Erstmals siegt sie in St. Moritz. Die Schweizerinnen verpassen die Podestplätze.
Benjamin Steffen, St. Moritz
Es war ein Rennen, mit dem Sofia Goggia noch eine Rechnung offen hatte. Noch nie war sie in St. Moritz an einem Weltcup-Super-G ins Ziel gekommen, zweimal gestartet, zweimal ausgeschieden, Goggia halt, wie sie lebt und fährt, draufgängerisch, mit dem Mut zum Risiko und dem Willen zum Sieg. Und jetzt, der dritte Super-G-Start in St. Moritz, der erste Erfolg, alles gut.
Während der Fahrt verlor Goggia einen Stock – was dieses Missgeschick bewirkt habe, fragte jemand. «Nichts», sagte die Italienerin, es sei ja nicht mehr weit gewesen bis ins Ziel.
Goggia ist zu einer grossen Figur des Skisports geworden in den letzten Jahren, Abfahrtsolympiasiegerin 2018. Aber es ist nicht bloss dieses Gold, das ihr diese Rolle gibt, es sind ihre Ecken und Kanten, über die sie offen redet, es ist ihr Egoismus zum Beispiel. Der NZZ sagte sie letzthin in Lake Louise diese wunderbaren Sätze: «Als Topathletin bist du wie eine Sonne, alle kreisen wie Planeten um dich, sie helfen dir, aber du musst das Zentrum sein.» Oder was sie dachte, als sie 2013 am Start des WM-Super-G stand, ohne Weltcup-Erfahrung: «Ich visualisierte in meinem Kopf: das Universum, all die Planeten, die Erde, so klein, und dann ich, ein Mensch von sieben Milliarden – ich bin ein Nichts, und jetzt fahre ich einfach Ski.»
Aber mit den Planeten um Goggia herum ist es so eine Sache. Mit Blick auf diese Saison trainierte sie in einer Dreiergruppe, mit Federica Brignone und Marta Bassino. Brignone hat nicht viel weniger erreicht als Goggia im Ski-Zirkus, einmal WM-Silber, einmal Olympia-Bronze, zehn Weltcup-Siege. Und Brignone ist auch nicht viel weniger temperamentvoll als Goggia, aber sie habe diese Gelassenheit, «diese gute Seele», um mit dieser Situation umzugehen, mit Goggia im Team, so wird es in St. Moritz erzählt.
Das jüngste Resultat ärgerte sie aber doch: Brignone belegte Platz 2, mit dem Mindestrückstand von einer Hundertstelsekunde, es schmerze sehr, sagte sie. Schon im Riesenslalom von Killington war Brignone Zweite geworden, hinter Bassino, der dritten Kollegin aus der neuen Trainingsgruppe. Dieses Team scheint in Fahrt zu sein, in der Nationenwertung haben sich die Italienerinnen hinter Österreich bisher am zweitmeisten Punkte gesichert. Im Gesamtweltcup liegt Brignone im dritten Rang, auf mehr aspiriert sie allerdings nicht, die Serien-Gesamtsiegerin Mikaela Shiffrin sei derzeit unschlagbar, sagte Brignone.
Bei Goggia kam niemand auf die Idee, über den Gesamtweltcup zu reden. Vielmehr fragte sie noch einmal jemand nach dem schweren Autounfall, den sie im Frühling unverletzt überstanden hatte. Sie war einen Hang hintergestürzt und mit dem Auto auf einem parkierten Wagen zu stehen gekommen. Für diesen Unfall scheine sie bekannter zu sein als für den Olympiasieg, sagte Goggia zuerst. Und danach: «Es war noch nicht Zeit zu gehen.» Während dreier Nächte sei sie aufgewacht mit dem Gefühl, wie sich das Auto überschlagen habe – viel mehr war da offenbar nicht.
Aber: Das Universum, die Sonne, die Erde und Träume zwischen Leben und Tod – mit weniger scheint es nicht zu gehen bei Sofia Goggia.
Ski alpin. St. Moritz. Weltcup-Super-G der Frauen: 1. Sofia Goggia (ITA) 1:12,96. 2. Federica Brignone (ITA) 0,01 zurück. 3. Mikaela Shiffrin (USA) 0,13. 4. Nicole Schmidhofer (AUT) 0,30. 5. Lara Gut-Behrami (SUI) 0,72. 6. Nina Ortlieb (AUT), Corinne Suter (SUI) und Kajsa Lie (NOR), je 0,87. 9. Tessa Worley (FRA) 0,93. 10. Viktoria Rebensburg (GER) 0,96. – 12. Michelle Gisin (SUI) und Wendy Holdener (SUI), je 1,02. 21. Priska Nufer (SUI) 1,69. 27. Rahel Kopp (SUI) 2,11. 31. Ester Ledecka (CZE) 2,23. 32. Ilka Stuhec (SLO) 2,28. 33. Joana Hählen (SUI) 2,44. 35. Nathalie Gröbli (SUI) 2,71. – 54 Fahrerinnen gestartet, 44 klassiert. – Ausgeschieden u.a.: Stephanie Jenal (SUI), Tina Weirather (LIE) und Ramona Siebenhofer (AUT).
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